Der Pflegenotstand ist in aller Munde. Was mittlerweile in der breiten Öffentlichkeit angekommen ist, ist im Pflegealltag seit Jahren Thema und leider schon fast normal geworden. Nicht die Pflegequalität gewährleisten zu können, die wir einmal erlernt haben und uns für unsere Patienten, ihre Sicherheit und ihre Genesung wünschen, ist frustrierend und erzeugt Stress.
Die fehlende Übereinstimmung zwischen der Botschaft unseres Herzens und unserem Verstand ist eine der grössten Stressquellen der Menschheit.
Wenn wir nicht so menschlich mit genügend Zeit und Ressourcen pflegen können, wie wir es von Herzen gerne tun würden, weil Spardruck, Fachkräftemangel und die zunehmende Gewinnorientierung in der Medizin dies nicht mehr zulassen, entsteht Frust, Stress, Unzufriedenheit, Erschöpfung... Genau dies lässt viele Pflegende ausbrennen, resignieren und aussteigen.
Unglaublich schade, weil unser Beruf eigentlich eine wunderbare, vielseitige und spannende Tätigkeit ist.
Bis heute bin ich der Schulmedizin treu geblieben, zumindest mit einem halben Fuss, weil die Notfallmedizin weiterhin einen festen Platz hat in meinem Herzen.
Doch ich empfand den Zeitmangel und die ausgeprägte Fokussierung auf den Körper alleine als frustrierend und häufig nicht genügend nachhaltig, weshalb ich mich der KomplementärTherapie (KT) zugewandt habe, mit welcher sich mir eine neue Welt eröffnete.
Eine Welt, in welcher ein Mensch als Einheit von Körper, Geist und Seele betrachtet wird, die untrennbar miteinander verbunden und voneinander abhängig sind.
In der KT können sämtliche Faktoren miteinbezogen werden, die auf den Menschen einwirken und sich auf ihn auswirken wie Ernährung, soziales und berufliches Umfeld, Familie und Lebenssituation, persönliche Erfahrungen und Prägungen, Umweltfaktoren usw.
Gesundheit und Genesung ist von verschiedensten Faktoren abhängig, doch in der Pflege, im Spitalalltag, geht vieles unter und verloren aufgrund des Zeit- und Fachkräftemangels. Die Lücken die hier entstehen zeigen sich bei Patienten in vermehrter Unsicherheit, offenen Fragen, dem Gefühl alleine zu sein und sich überfordert zu fühlen, Ängsten aufgrund von schlechten Erfahrungen, Mangel- oder Fehlinformationen usw.
Genau hier sehe ich die grosse Chance der KT, diese Lücken zu füllen, die in der breiten Gesundheitsversorgung entstanden sind.
Die moderne Medizin ist ein Segen, doch verleitet sie auch zu Zuviel, zu schnell, zu umfangreich, zu standardisiert, zu invasiv, zu teuer, zu oberflächlich.
Ein Patient der gemäss individuellem Bedarf begleitet und unterstützt wird bei Krankheit und Unfall, der lernt, sich selbst, eigene Bedürfnisse und Grenzen wahrzunehmen und entsprechend zu handeln, gesundheitsfördernde Verhaltensweisen kennen und nutzen lernt und sich selbst und eigenverantwortlich zu regulieren, kann zügiger und nachhaltiger genesen.
Ein einfaches Beispiel:
Eine junge Patientin suchte immer wieder die Notfallstation auf wegen Hyperventilation und Panikattacken. Das Gefühl keine Luft zu bekommen sowie die krampfenden Hände machten ihr jeweils so Angst, dass sie die Fachpersonen der Notfallstation und teils auch Medikamente brauchte, um Sicherheit und zurück in die Ruhe zu finden.
Diese Patientin konnte sich und ihren Körper dank der KomplementärTherapie besser kennen und spüren lernen, ihre Grenzen wahrnehmen und für sich einstehen lernen und auslösende Hintergründe und Faktoren für Panikattacken erkennen und bewältigen, so dass es gar nicht mehr so weit kam. Die Notfallkonsultationen erübrigten sich somit.
Die Körpertherapie wird begleitet vom Gespräch, welches Selbstreflexion und den Austausch und das Weitergeben von Informationen und Hilfestellungen ermöglicht. Daraus resultierende Erkenntnisse können in den Alltag transferiert werden.
KomplementärTherapeutisches Handeln erfolgt methoden-, körper- und prozesszentriert und ist interaktiv ausgerichtet.
Meine Methode ist Shiatsu, was ich hiervon auch sagen kann ist, dass diese Form der Therapie u.a.beruhigend und regulierend wirkt auf das vegetative Nervensystem, was einen positiven Einfluss hat auf innere Prozesse wie Verdauung, Atmung, Herzfunktion, Wahrnehmung usw.
Bis zu einem gewissen Punkt können der Mensch und sein Körper sich sehr gut selbst regulieren, wenn die Bedingungen dazu geschaffen werden. Doch derer muss man sich erstmal bewusst sein, gesundheitsfördernde und krankheitshemmende Verhaltensweisen entdecken und kennen lernen, selbstkompetent und eigenverantwortlich handeln, was jedoch auch erfordert selbst aktiv zu werden und sich nicht hinzulegen nach dem Motto. "Machen sie mich doch bitte gesund."
An den zunehmenden Bagatelleinsätzen im Rettungsdienst sowie auch auf der Notfallstation ist leicht zu erkennen, dass Optimierungsbedarf besteht. Langfristig sollte das Ziel sein diese Zahlen zu reduzieren aufgrund verbesserter Genesungskompetenz jedes Einzelnen und nicht immer höher werdende Eintrittszahlen zu bewältigen.
Die heutzutage eher zügigen Entlassungen aus dem Spital nach Krankheit und Unfall bergen auch einige Risiken, da sich viele Patienten oft überfordert fühlen in der neuen Situation mit ihren Beschwerden, Ängsten und Unsicherheiten.
In der KomplementärTherapie haben wir auch hier die Möglichkeit zu begleiten, zu unterstützen, zu stärken und zu lindern.
Ich stelle immer wieder fest, wie unglaublich heilsam es bereits wirkt, wenn sich ein Mensch gehört, verstanden und unterstützt fühlt. Doch genau dies ist uns im Pflegealltag oft nicht mehr im erforderlichen Ausmass möglich.
Eine Krise ist immer auch eine Chance. Ich sehe die aktuelle Krise im Gesundheitswesen als Chance für einen Fortschritt, eine Gesundheitsversorgung die durch eine Verschiebung der Ressourcen schlanker und smarter wird und Raum schafft für die ganzheitlichere Betrachtung und Behandlung von Krankheit.
Die Ziele der KomplementärTherapie sind, die Klienten in ihrer Genesungskompetenz, Selbstregulation und Selbstwahrnehmung zu stärken mit dem Fokus auf Ressourcen, Resilienz, Kohärenzgefühl und Selbstermächtigung.
Bei meiner Arbeit auf der Notfallstation kann ich meine Kompetenzen aus der KT gut einfliessen lassen, was sehr geschätzt wird von den Patienten und je länger je mehr auch von meinen Arbeitskolleg/Innen.
In der Spitalwelt werden die KomplementärTherapie und die Alternativmedizin gerne in einen Topf geworfen und als esoterisch, Globulifresser oder "fühlsch mi gspürsch mi" abgetan und nicht ernst genommen. Einerseits amüsiert mich das, andererseits finde ich schade, wenn über etwas geurteilt wird wovon man keine Ahnung hat.
Was viele auch nicht wissen ist, dass sich KomplementärTherapie und Alternativmedizin deutlich unterscheiden und dass die Ausbildungen standardisiert und professionalisiert wurden und teilweise mittels eidgenössischem Diplom anerkannt sind.
Mein Ziel ist die Förderung der integrativen Medizin, miteinander statt gegeneinander. Denn komplementär heisst ergänzend, das Eine schliesst das Andere nicht aus. Und alternativ heisst die Wahlmöglichkeit zu haben zwischen verschiedenen Vorgehen oder derer sinnvollen, fachgerechten Kombination.
Dank verschiedener Plattformen ist es nun auch leichter, eine/n kompetente/n seriöse/n Therapeut/In zu finden.
Das EMR-Qualitätslabel ist das Gütesiegel des ErfahrungsMedizinischen Registers EMR. Auf https://emr.ch/ sind alle Therapeuten registriert, welche über eine fundierte Ausbildung verfügen und sich laufend weiterbilden. Achten sie dabei auf das vorhandene Branchenzertifikat des/r jeweiligen Therapeut/In.
Therapeut/Innen mit mehrjähriger Berufserfahrung haben ausserdem die Möglichkeit das eidg. Diplom zu erlangen, welches höchste Qualität und die Einhaltung berufsethischer Prinzipien garantiert. Diese Unterschiede sind auf der genannten Website in der Therapeutensuche sofort ersichtlich.
Ausserdem findet man dort Informationen zu den verschiedenen Methoden sowie viele weitere wichtige und interessante Details.
Auch auf den Websites der jeweiligen Krankenkassen können Therapeuten gefunden werden, welche offiziell registriert und anerkannt sind und von den Krankenkassen Leistungen angerechnet werden.
Ausserdem können auch auf den Seiten der Dachverbände Therapeuten und viele weitere Informationen gefunden werden:
Dachverband für KomplementärTherapie:
Dachverband für Alternativmedizin:
Die wichtigsten Unterschiede:
KomplementärTherapie: (Methoden wie Shiatsu, Kinesiologie, Atemtherapie, Craniosacral-Therapie, APM, Reflexzonentherapie, Yoga-Therapie usw...)
Methoden-, körper- und prozesszentriert und interaktiv ausgerichtet. Grundlage aller Methoden der KomplementärTherapie ist die Arbeit an und mit dem Körper.
Die methodenspezifischen Mittel sind Berührung, Bewegung, Atem und Ener- gie. Dadurch werden körperliche Zustände erfahrbar und beeinflussbar gemacht.
Grundlegend für alle Methoden der Komplementärtherapie sind ebenso Anleitung und Gespräch in unmittelbarer Verbindung mit der körperzentrierten Arbeit. Sie begleiten, ergänzen und unterstützen die körperzentrierte Arbeit und ermöglichen, die körperlich ausgelösten Prozesse zu reflektieren und zu integrieren.
Die unmittelbare Verbindung von Körperarbeit und therapeutischem Gespräch führt zu der für alle Methoden der KomplementärTherapie konstituierenden Prozesshaftigkeit.
In der KomplementärTherapie werden keine hautverletzenden Mittel oder technische Apparate eingesetzt. Auch werden keine Heilmittel abgegeben oder verordnet.
Bezug zur Schulmedizin
Komplementarität – Komplementärtherapie ersetzt nicht die Schulmedizin, sondern wirkt ergänzend.
Befunderhebung – KomplementärTherapie erfasst methodenspezifisch das Beschwerdebild. Allfällig vorliegende schulmedizinische Befunde werden berücksichtigt. KomplementärTherapeut*innen erstellen keine schulmedizinischen Diagnosen.
Grenzen – KomplementärTherapeut*innen verpflichten sich, andere, parallel laufende Behandlungen zu respektieren und bei Beschwerdebildern, die eine spezifische Abklärung und Behandlung erforderlich machen, entsprechende Fachpersonen zu empfehlen bzw. deren Konsultation einzufordern.
Quelle: vgl. OdA KT Berufsbild KomplementärTherapeut mit eidg. Diplom, S.12, 13
Alternativmedizin: (Methoden wie Ayurveda-Medizin, Homöopathie, Traditionelle Chinesische Medizin TCM, Traditionelle Europäische Naturheilkunde TEN, ...)
Umfassendes Medizinkonzept Die Fachrichtungen der Alternativmedizin sind umfassende Medizinsysteme mit eigenen Diagnose- und Behandlungsmethoden. Sie haben eine eigene Geschichte und Tradition, ein eigenes Theoriemodell und entsprechende Prinzipien.
Abgabe von Heilmitteln und Einsatz von alternativmedizinischen Verfahren Die Fachrichtungen arbeiten mit den ihnen eigenen Verfahren und arzneilichen Zubereitungen.
Alternativmedizinische Praxen als erste Anlaufstelle Aufgrund ihres umfassenden Medizinkonzeptes mit detailliertem Diagnose- und Behandlungsangebot verstehen sich die alternativmedizinischen Fachrichtungen als mögliche erste Anlaufstelle für sämtliche Patientenanliegen, die nicht eine akutmedizinische Intervention benötigen.
Die Grenzen der Alternativmedizin sind dort erreicht oder müssen zwingend mit schulmedizinischen Interventionen einhergehen,
wo zur Abwendung von Lebensgefahr oder dauerhafter Schädigung (auch psychisch-geistiger Art) eine sofortige akutmedizinische Aktion erfolgen muss (z.B. Blutstillung, Aufrechterhaltung einer Organtätigkeit oder Substitution eines lebenswichtigen Stoffes, u.a.m.);
wo operative Massnahmen nötig sind damit eine Heilung überhaupt einsetzen kann;
wo nach angemessener Frist kein Wiedereinsetzen der Regulationsfähigkeit, kein Zurückgehen der Krankheitszeichen und keine Verbesserung des Wohlbefindens festzustellen ist.
Quelle: vgl. OdA AM Berufsbild Naturheilpraktiker/In mit eidgenössischem Diplom in ...(Fachrichtung) S. 9
Ich denke, je bekannter und besser zugänglich die verschiedenen Möglichkeiten und Ergänzungen unseres Gesundheitssystems werden, desto eher kann die Akutmedizin entlastet und die Gesundheit der Bevölkerung verbessert werden.
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